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DIE STEINIGUNG DER KLASSISCHEN MUSIK (UND DER ORF MACHTE EIFRIG MIT!)

Im Namen der politischen Korrektheit


Das Urteil ist gefallen, gnadenlos und unbarmherzig: schuldig wegen Rassismus, Kolonialismus und Machismus! Wer? Eine Person? Eine Institution wie die Kirche oder der Staat? Nein! Diesmal wird ein ganzes Kulturbereich zur Steinigung gebracht: die europäische klassische Musik! Sie wird angeklagt, ein übler Auswuchs des weißen Mannes zu sein, der wegen seiner Gier über die Welt zu herrschen, daran strebt, Menschen anderer Hautfarbe – diejenigen deren Pigmente dunkel sind insbesondere – zu unterwerfen bzw. zu versklaven. Daher muss man mit ihrem ganzen Geisteserbe – seriöse („E-Musik“) inklusive – einmal für immer abrechnen. Die Steiniger sind schon da. Niemand zeigt Mitleid mit der verurteilten E-Musik, nicht einmal im Land, das als Heimat der klassischen Musik gilt. Stattdessen bleiben die öffentlichen Einrichtungen in Österreich kleinlaut oder machen mit. Und der ORF? Der Österreichische Rundfunk, wie er offiziell mit vollem Namen heißt, der sie früher durch ihre Programme auf kurze Welle in die Welt sendete, beteiligt sich selbst daran. Eine sonderbare Kehrtwende vom Paulus zum Saulus. Der Beweis? Die Sendungen vom 13, 14, 15 und 16. September 2021 im Rahmen des Rundfunkprogramms „Radiokolleg“ mit dem Titel „Klassik so White. Rassismus und fehlende Diversität in der E[rnsten]-Musik“.


Die Anklage: Die „E-Musik“ ist „zu weiß“!


Schon bei der Anhörung des Titels konnte man ahnen, worum es geht: um die klassische Musik, die nach den Autorinnen dieser Sendung „so weiß“ ist, dass den Titel auf politisch korrektem „Denglisch“ angekündigt war. Um aber einen deutlicheren Eindruck über ihre Zielsetzung zu bekommen, werde es sich lohnen den ganzen Text zumindest der ersten Sendung vom 13. September 2021 zu lesen und darüber nachzudenken.

Sie gestalteten die Sendung „Klassik so White“:

Helene Braisach (links) und Dalia Ahmed (rechts)


Die Welt der klassischen Musik gibt sich international und aufgeschlossen. Warum sieht man keine Diversität in den Konzertsälen? Klassik so White. Rassismus und fehlende Diversität in der E-Musik. Dalia Ahmed und Helene Breisach.


Die Musik ist ein Männerdominierter Sektor, der von einem kleinen Teil der Gesellschaft und meist älteren Leuten konsumiert wird. Eine Sphäre, die nicht gerade von Diversität strotzt. Trotzdem gibt man sich weltoffen und tolerant. Als ich gefragt werde, ob ich ein Radiokolleg über Rassismus und fehlende Diversität im Bereich der E-Musik gestalten möchte, sagte ich zu. Ein interessantes Feld, aber was weiß ich vom Rassismus? In der Redaktion von FM4 finde ich meine Kollegin und Gestalterin Dalia Ahmed. Gemeinsam haben wir uns in diese Geschichte vertieft und die jeweiligen Perspektiven miteingebracht und haben viele verschiedene Stimmen zum Thema gesammelt. Die vier Radiokolleg Teile werden wir abwechselnd präsentieren. Helene Breisach machte den Anfang.


Zu Beginn haben wir uns und unsere InterviewpartnerInnen Frage gestellt, warum der Klassiksektor überhaupt so exklusiv ist. Eine Antwort gibt die Soziologin und Autorin Laura Wiesböck:


Mit der klassischen Musik wird heute immer eine Art religiöse Verklärung, denkt man etwa an den [?]kult von den Komponisten, der bis heute nachwirkt oder z.T. Erlösungsphantasien und Heilsversprechen mit der klassischen Musik einbeziehen. Also, wenn man etwa an diesem Mythos denkt, dass schwangere Frauen intelligentere Babys bekommen, wenn sie klassische Musik hören oder wenn sogar Mozartseffekt, dass die Leistungsfähigkeit gesteigert wird, nachdem man einen Mozartstück gehört hat, also all das sind religiöse Verklärungen, die zu Distinktion dienen, die zwar zur Abgrenzung dienen.


„Wir schaffen uns von anderen Menschen abzugrenzen, in dem wir das Weigern was wir sind und das passiert ganz häufig mit Musik“ Julio Mendivil ist Professor für Ethnomusikologie der Universität Wien. „Wenn ich klassische Musik konsumiere, wenn ich mich mit dem Repertoire auskenne, dann zeige ich der ganzen Welt. Ich spreche eine Sprache, die nicht jeder kann. Das ist eine spezialisierte Sprache, ich kann souverän damit umgehen, ich kenne mich aus und deswegen kann ich das sprechen. Das kann der normale Musikhörer, die Musikhörerin nicht.“ Das elitäre Distinktionsbedürfnis von klassischer Musik zeigt sich auch schon aus in den Settings. Klassische Musik wird überwiegend in den prunkvollen Sälen aufgeführt, mit hohen Eintrittspreisen. Das Publikum mag für bestimmten Menschen, die keine Erfahrung in ihrer Biografie mit klassischer Musik haben auch etwas abschreckend sein und all das ist ein Mittel zur Distinktion und auch zur Exklusion. Sehr häufig wird ja auch Exklusivität ein Event, ist exklusiv als sich das Positives hervorgetan. Der Begriff „Exklusiv“ bezeichnet, aber tatsächlich was das bedeutet, eigentlich „ausschließend“.


Der Klassiksektor ist aber doch nicht so weltoffen wie er sich gerne gibt. Aber die Stars der Szene sind doch in der ganzen Welt unterwegs, turnen durch Asien und Lateinamerika. Klassische Musik ist ein Exportschlager mit den Milliarden umgesetzt werden. Ist das nicht ein Beleg für die Musik als universelle Sprache, die jeder verstehen kann?


„Wenn Sie sich ein Buch nehmen aus z.B. Chile und schauen wie die Geschichte des Landes und die Geschichte der Musik des Landes geschrieben worden ist, dann werden Sie sehen, dass das erste Kapitel ganz oberflächig über die indigene Musik vor der Ankunft der Europäer ist, und dann kommt die Musik. Und was ist die Musik? Der Einfluss der Europäer in Chile. Und da fängt die richtige Musik an. Alles anderes sind, wie Eduard Hanslick es sagte: „Das ist ‚Vormusik‘ oder ‚Naturmusik‘“. Und genauso darf man hierarchieren.


[Frage]: Ist also die E-Musik ein Platzhalter für weiße Musik, fragen wir den Musikwissenschaftler Julio Mendivil?


[Antwort]: Ich würde sagen: „Ja“. Ganz deutlich. Aber wenn man sich genau anschaut, was wir hier studieren, was unsere Studierende lernen müssen, das sind so weiße, heterosexuelle Männer, die als Genies verehrt werden und entsprechen ja sehr deutlich einem bestimmten Bild von Männlichkeit wiedergeben was festlich geprägt ist und auch mit einer ganzen Last von deutschem Idealismus verbunden ist.


Idealismus und Geniekult. Phänomene, die sich bis heute gerade in der klassischen Musik hartnäckig halten. Komponisten wie Mozart, Beethoven, Wagner sind scheinbar überirdische Giganten, bis heute in den Himmel gehoben.


„Die Weirdness von westlicher klassischer Musik, von europäischen klassischen Kunstmusik, begründet sich, natürlich, in heteronormativen weirdness Männlichkeit derjenigen Männer, die so zu sagen, das Repertoire ausmachen“. Marko Kölbl ist Universitätsassistent am Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie der MDW, der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. „Das was reproduziert wird als Musik wurde geschaffen von Menschen, die ganz spezifischen Identitätskategorien entsprechen, nämlich männlich, weiß, europäisch, aber auch eigentlich ausgestattet mit einer gewissen sozialen Position und einer ganz starken Nähe zur Aristokratie“.


„Diese Konstruktion von klassischer Musik als Weißsein ist auch zusammenzusehen mit einer bildungsbürgerische Ideologie. Alles ab diese sog. Aufklärung wo das ansteigende Bildungsbürgertum in Europa sich auch selbst angefangen hat zu konstruieren und darzustellen, sei es in Theaterstücke, Musik und Kunst usw.“ Daniele Daude ist promovierte Musikwissenschaftlerin und promovierte Theaterwissenschaftlerin. In ihre Arbeit setzt sie sich intensiv mit Kolonialismus und Rassismus in der klassischen Musik auseinander. „Und dafür gehört der Mythos den aufstrebenden, aufgehenden Nationen, die später, in 19. Jahrhundert auch in Europa politisch, ökonomisch befestigt wurden und, natürlich, kulturell, und in diesem Rahmen wurde die Kultur ein extrem wichtiges Element, um sich als Nation zu verstehen und sich als Nation zu verstehen in Europa zwar notwendig, um sich als weiße Nation zu verstehen, zumal dass es parallel dazu… Aber das ist schon eine andere Geschichte.


„Auch wenn wir uns beispielsweise die Ausbildungssysteme anschauen, fast alle Universitäten der Welt priorisieren westlich europäische klassische Kunstmusik in ihrem Ausbildungssystem und die, finde ich, muss man sich dann fragen, entweder nimmt man das so an, dass dieser Europäozentrismus existiert, der im Bereich der Musik ziemlich verstockt ist, weil er nicht so klar gesprochen wird oder man fragt sich welche Formen von kolonialen Gewalt stecken dahinten oder man fargt sich welche Formen von kolonialer Gewalt stecken dahinten“.


Kolonialgewalt, ein starkes Wort, das Marko Kölbl da verwendet. Ein Reizwort sowie Rassismus. Was soll ein Konzert da in Wien oder in Salzburg in dem Beethoven und Schubert aufgeführt werden mit Rassismus und Kolonialismus zu tun haben. Vielleicht ist das ein grundlegendes Problem, das diese Diskussion zu schwer macht.


„Unglücklicherweise, hier in deutschsprachigem Raum wir haben diese Ideen Rassisten sind böse Menschen und niemand will sich als böse Mensch sehen und deswegen sagen die Leute, ich bin kein Rassist, obwohl wir, de facto, alle rassistische Strukturen reproduzieren“, sagt Julio Mendivil von der Universität Wien. Ein unbewusster Rassismus schlägt sich womöglich auf Art und Weise nieder, wie Interpretinnen und Interpreten wahrgenommen werden. Weit verbreitet ist etwa das Vorurteil,

viele asiatische Musikprofis hätten zwar eine perfekte Technik, werden aber roboterhaft spielen. Marko Kölbl von der MDV hat dazu ein anschauliches Beispiel. „Es gab eine weiße Pianistin, die die Aufnahme einer japanischen Pianistin gestohlen hat und ein Musikkritiker hat zu beiden Aufnahmen Reviews geschrieben. Gleiche Aufnahme, vollkommen unterschiedliche Videos. Und genau diese Stereotype, die ich eben genannt habe, kommen davor. Also, es ist wirklich interessant, welche Sprache er wählt, um das robothafte zu umschreiben aber nicht so genau zu benennen und aber eben diese natürliche Musikalität der weißen Frau als natürliche Musikalität anzuführen.“


Das Problem erkennen. Das beginnt wo die heutige Musikviertelstunde begonnen hat: beim Thema der Exklusivität. Es geht darum sich zuerst das ausschließende bewusst zu machen und die klassische europäische Musik zu öffnen. Dazu die Autorin Laura Wisböck: „Es reicht nicht, wenn man eine Person of Color in seinem Orchester spielen lässt und damit ist das Problem abgehackt, was sehr häufig beim Diversitätsbegriff kritisiert wird. Das ist eine Art Imagepolitik. Eine Imagepflege ist ohne dass die Organisationskultur als solches in Frage gestellt wird oder umgeändert wird“.


Eine echte Diskussion mit der ehrlichen Absicht, die klassische Musik für alle zugänglich zu machen. Das wünscht sich auch die Musikwissenschaftlerin Danielle Todt: „Wenn die Institutionen und die Menschen an die Entscheidungsposten erkennen, dass Diversityarbeit um eine weitere neokoloniale Praxis ist und aufrichtig daran Interesse haben, klassische Musik mit einem breiten Publikum für die ganze Gesellschaft aufzuführen, dann können wir eine richtige Konversation starten. Aber solange Menschen denken, die wissen eigentlich bescheid mit diesem Überlegenheitsgefühl auch ich weiß Bescheid wie das ist, aus einer Pseudoneutralität und Objektivitätsposition, dann können wir nicht weiter.“


Der Einspruch


Ein solches Urteil ist schwerwiegend. Zuerst deswegen, weil sie durch den seriösesten österreichischen Rundfunksender Ö1, verbreitet war. Dann auch deshalb, weil die Behauptungen, dass die klassische Musik weiß, elitär, rassistisch und machistisch sei, können vor allem die jüngere Hörerschaft beeinflussen. Dies umso mehr, weil der Ö1 aufgrund der Professionalität seiner Journalisten und des Ansehens seiner Gäste als Fachkenner, die Reputation der Glaubwürdigkeit besitzt.


Doch bei einer näheren Betrachtung der Sendung „Klassik so White“ könnte dieser Eindruck ins Wanken geraten. Zuerst wird man feststellen müssen, dass ihre zwei Autorinnen keine fachlich gebildeten Musikologinnen, sondern nur „Musikjournalistinnen“ sind. Aus ihren dürftigen Biografien kann man erfahren, dass Helene Breisach in Nürnberg Germanistik und Theaterwissenschaft studiert hat, während Dalia Ahmed lediglich DJ beim FM4 Radio ist, wo sie seit Jahren die Sendung „Dalia Late’s Night Lemonade“ moderiert. Demzufolge muss man sich fragen, warum ein Jugendkulturradiosender des ORF dessen Schwerpunkt nicht die klassische Musik, sondern die sog. Mainstream Alternative Musik ist, an der Vorbereitung einer Sendung über die klassische Musik auf Ö1 teilgenommen hat. Nun, wenn man weiß, dass das FM4Radio als Verfechter der Multikulturalität, der Diversität und der politischen Korrektheit gilt, was u.a. durch die Verwendung der sog. „gendergergerechten Sprache“ zum Ausdruck kommt, wird man annehmen müssen, dass in diesem Fall die fachliche Analyse dem ideologischen Proselytismus Platz gemacht hat.[1]


Dieser Eindruck wird mit dem Einblick auf die Auswahl der Gäste verstärkt. Allem Anschein nach haben die Autorinnen (und wahrscheinlich auch ihre Vorgesetzte) solche Fachleute angesprochen, die dieselben ideologischen Konzepte vertreten. Das Ergebnis war eine eher einfarbige politisch korrekte Moralisierung mit mangelnder Analyse von sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ursachen, die die kulturelle Schöpfung im Allgemeinen und die musische insbesondere in einer bestimmten Zeit prägten. Die Hörerinnen und Hörer waren dadurch nicht einer Vertiefung der Kenntnisse, sondern einer tatsächlichen Gehirnwäsche ausgesetzt. Offensichtlich war es gewollt, denn es wäre nicht schwer – vor allem in Wien – Musikhistoriker und Spezialisten für klassische Musik zu finden und ihre Aussagen mit jenen der Teilnehmer bei der Sendung zu konfrontieren. Das wäre, eigentlich, das elementarste Gebot des zwar nicht politisch, sondern des fachlich korrekten, verantwortungsbewussten Journalismus. Leider war das, offenbar absichtlich, vernachlässigt. Anscheinend witterten die Autorinnen, wenn nicht auch ihre Vorgesetzte die Gefahr, dass bei einer Auseinandersetzung mit Andersdenkenden, die Verfechter der politischen Korrektheit bei dieser Sendung nicht nur desavouiert, sondern sogar lächerlich gemacht werden könnten.


Die entartete Musik 2.0


Die österreichischen Mainstream Medien haben sich aber sorgfältig gehütet, sich darüber zu äußern. Außerdem sind die Sendungen auf dem Internetportal des ORF nicht mehr aufrufbar. Doch diejenige, die die Gelegenheit hatten, sie zu hören, werden sich fragen müssen, ob die klassische Musik nicht jetzt an die Reihe gekommen ist, um als entartete Kunst angeprangert zu werden? Jede Ähnlichkeit mit der Behandlung der Kunst in Nazi-Deutschland ist nicht nur zufällig, sondern frappierend. Damals, konkret am 24. Mai 1938, wurde anlässlich der „Reichsmusiktagen“ zuerst in Düsseldorf und dann auch in Wien die Ausstellung „Entartete Musik“ organisiert. Am Pranger befanden neben der modernen Musik und den Werken jüdischer Komponisten, auch die „Negermusik“, d.h. Jazz. Diesmal aber wird anstatt der „Negermusik“ die klassische Musik angeprangert, weil sie „weiß“ ist! Allem Anschein nach, die Hautfarbe ist einmal mehr das Hauptkriterium für die Bewertung bzw. Abwertung der Weltkulturerbe geworden. Die „Gutmenschen“ mit den Steinen stehen bereit. Die „demokratische“ Institutionen der (westlichen) Welt geben dazu ihren Segen. Mit ihnen auch der ORF.


In Anbetracht solcher Entwicklung muss man sich an jene Bemerkung von Karl Marx über den Verlauf der Geschichte erinnern, nämlich dass alle Ereignisse wiederholen sich zwei Mal: zuerst als Tragödie und dann als Farce. Nun, wenn es um die Äußerungen von Fachleuten in der Sendung „Klassik so White“ handelt, dann weiß man nicht mehr wo die Tragödie endet und wo die Farce beginnt. Ihre Abwertung der klassischen Musik ist tatsächlich tragisch, ihre Argumente dafür aber so lächerlich, dass man sich fragen muss, ob das ihr Ernst ist. Es ist schwer anzunehmen, dass alle diese akademisch gebildeten Menschen, nicht imstande sind die Bedeutung der klassischen Musik für die Entwicklung der Menschheit jenseits der Hautfarbe bzw. des Geschlechtes einzusehen. Man könnte eher annehmen, dass sie sich einer radikalen, totalitären ja sogar rassistischer Ideologie geschrieben haben, welcher sie sowohl ihr Wissen als auch ihre professionelle Ethik bewusst geopfert haben. Mit dem Eifer mit welchem sie gegen die „E-Musik“ vorrücken bereiten sie ihr das realsozialistische Korsett maoistischer Art, wenn nicht etwas Schlimmeres nach dem Beispiel von Afghanistan, wo unter der Schreckensherrschaft der Taliban die Musik ist überhaupt „haram“ (unerlaubt).


Mag sein, dass dies aus Idealismus und nicht wegen der Konjunktur erfolgte. Es wäre aber zu befürchten, dass sie selbst Opfer einer ideologischen Gehirnwäsche, ja sogar einer Lobotomie geworden sind. Das ist kein sporadisches Phänomen, sondern eine raffinierte Indoktrinierung, die offensichtlich mit System, Method und Plan durchgeführt wird. Wäre es anders gewesen, hätte man schon seit langem gegen dieses Vorgehen gewarnt und ihn bekämpft. Das Gegenteil aber geschah: die politische Korrektheit wird von allen internationalen und nationalen Institutionen der westlichen Welt äußerst intensiv propagiert. Dabei sind die linksliberalen Parteien tonangebend. Unter ihrem Einfluss oder besser gesagt Druck, wird diese Ideologie legitimiert. Entsprechende Anweisungen werden durch Bildungsministerien an den Schulen weitergeleitet, Lehrerinnen und Lehrer werden durch „politische Bildung“ in diesem Sinne umgebildet, geisteswissenschaftliche Fakultäten schmieden eifrig das mitlaufende intellektuelle Kader, „die ehrliche Inteligentsia“ wie man sie in den kommunistischen Staaten nannte, Kunstakademien mobilisieren die Emotionen, Vereine und NGOs wachen auf die Erhaltung der „Linie“ in der Basis und die Mainstream Medien rechtfertigen laut oder stillschweigend das ganze Prozedere. Bestimmt wird die Gleichberechtigung großgeschrieben. Aber welche? Die Gleichberechtigung aller Menschen? Nein. Es geht nur um menschliche Gruppen, um Identitäten, um die Religion, um das Geschlecht, um die sexuelle Orientierung und um die Hautfarbe, vor allem wenn diese nicht europäisch oder fernöstlich ist. Solche Minderheitengruppen werden nicht gleichgestellt, sondern sogar durch amtliche nationale und internationale Institutionen favorisiert. Sie werden veranlasst, ihre Opferrolle in der Geschichte und der Gegenwart ständig hervorzuheben und die Mehrheitsgruppe (europäische, weißer Hautfarbe) dafür mit abstrusesten Argumenten kollektiv zu stigmatisieren. Man kann leider nicht ausschließen, dass die Äußerungen der Teilnehmer an der Sendung „Klassik so White“ auch dadurch motiviert waren.


Im Zeichen des BLM (Black Lives Matter)


Es ist auffallend, dass die Teilnehmer der Sendung „Klassik so White“ sogar aufgefordert waren, ihre Meinungen über den Rassismus und Kolonialismus in der klassischen Musik zu präzisieren. Diese, wiederum, haben nicht gezögert das zu tun. Sie ließen damit den Eindruck, etwas Neues, Originelles angekündigt haben, um die bisherigen Kenntnisse über die klassische Musik zu ergänzen. In der Tat, haben sie aber nur einige Gedanken, die bereits in den USA der Black Lives Matter (BLM) Bewegung nahestehenden Musikologen Philip Ewell am 24. April 2020 geäußert wurde wiederholt, nämlich „dass die Musiktheorie weiße Rassenrahmen hat, die mit den patriarchalen Strukturen zusammenwirkt, um das Weißsein und die Männerhaft auf Kosten der PoC (People of Color, vulgo: Farbigen) und Nicht-Männlichen zu bevorzugen“.[2] Ist denn Philip Ewell die neueste Autorität in der Musiktheorie geworden? Man könnte es bereits behaupten, weil als sich der Musiktheoretiker Thimoty Jackson aus dem University of North Texas gewagt hat, ihm öffentlich zu widersprechen, wurde Jackson von 94% seinen weißen Kollegen kritisiert! Mehr noch, sie haben in einem offenen Brief bereut, dass sie nicht genug gearbeitet haben, um die „weißen Mythologien“ abzuschaffen und nicht-europäische Musikformen zu studieren.[3] Der Ton des Briefes und die Reaktion der Professoren bei der Stigmatisierung ihres Kollegen, der sich gewagt hat aus der politisch korrekten Reihe zu tanzen, erwecken Erinnerungen, die während der sog. Kulturrevolution in China herrschten und wo die sog. „Klassenfeinde“ massenweise u.a. zur Selbstkritik gezwungen waren. Diese entsetzliche Tragödie, die vor einem halben Jahrhundert Millionen von Menschen das Leben kostete, weil sie in einem bestimmten ideologischen Raster nicht passten, hat man damals im Westen, oft verspottet. Jetzt aber scheint der Westen dabei zu sein, in eine ähnliche Situation zu geraten. Das betrifft vor allem die USA, weil der Spuck dort begonnen hat.


Seit Juni 2020, als die Black Lives Matter Proteste die USA erschütterten und sich weltweit verbreiteten, haben sich zahlreiche US-amerikanische Musikeinrichtungen, darunter auch solche wie The League of American Orchestra, Harford Symphony Orchestra, Seattle Opera, ja sogar die angesehene New York Philharmony sowie die führende Julliard School of Music an die Kampagne gegen Rassismus in der klassischen Musik angeschlossen.[4] Man sollte dabei nicht die Rolle der einflussreichen Sphynx Organization übersehen. Diese hat bereits seit 1997 auf den rassistischen Charakter der klassischen Musik hingewiesen.[5] Das zeigt, dass die Wurzel dieser Kampagne weit jenseits der Black Lives Matter Bewegung, die erst 2013 gegründet war reichen. Auffallend ist, dass sie wurzeln in den Regierungszeiten von Präsidenten Bill Clinton und Barack Obama, beide aus den Reihen der US-Demokratischen Partei, die Minderheitengruppen favorisiert. Nun, wenn man weiß in welchem Ausmaß die afrikanische Diaspora weltweit während den beiden Wahlkampagnen von Barack Obama, den ersten US-amerikanischen Präsidenten schwarzer Hautfarbe mobilisiert war, um indirekt die US-Wähler zu beeinflussen, dann muss man sich schon fragen, ob der Feldzug gegen die klassische Musik nicht aus ähnlichen Gründen zustande kam. In den USA war das Jahr 2020 ein Wahljahr und die Demokratische Partei wollte zurück an die Macht…


Die Offensive gegen den Rassismus in der klassischen Musik dehnt sich auch auf die Struktur von Musikensembles. Die Organisation „Sphynx“ aus der USA hat verlangt, im Namen der „Diversity“ die Einführung von Quoten bei der Anstellung von Musiker, Sänger und Verwaltungspersonal aufgrund der Hautfarbe.[6] Prompt folgte die britische ETO (English Touring Opera) diese Richtlinie. Weil seine Musiker nur weiße Haut hatten, wurden, um die „Diversity“ zu erhöhen über die Nacht 14 von ihnen, angeblich im Einverständnis mit dem Art’s Council England – was diese dementiert – entlassen.[7]

Inzwischen verbreitete sich die Kritik wegen mangelnder Diversität in den Musikeinrichtungen auf dem europäischen Festland. Die Initiativen kamen von einigen Musiker nicht europäischer Herkunft. Bereits im Juni 2020 wies der in Deutschland tätige afro-amerikanische Dirigent Brandon Keith Brown daraufhin, dass die klassische Musik die Gesellschaft nach Rasse und Klasse unterteilt.[8] Außerdem ist er der Meinung, dass in den Konzertsälen „die Überlegenheit der weißen Rasse“ verkauft wird.[9] Auch den Wiener Philharmoniker wurde seitens des bekannten französisch-libanesischen Trompeteten Ibrahim Maalouf die Mangel an Diversität vorgeworfen.[10] Die österreichischen Musikschaffenden, Musiker und ihre Institutionen reagierten nicht. Lediglich die Geigerin chinesischer Herkunft Zhang Zhang, wagte sich ihre Stimme zu erheben, um Maaloufs Behauptungen mit viel Würde und überzeugenden Argumenten zu verneinen.[11] Diese Polemik fand aber in den österreichischen Mainstream Medien keinen Widerhall.


Allem Anschein nach, so ist es auch mit der Sendung „Klassik so White“ geschehen. Offensichtlich wollte man vermeiden, dass in Österreich eine Debatte entsteht, die die internationalen Beziehungen Österreichs belasten könnte, vor allem mit der USA wo jetzt die Demokraten an der Macht sind. Immerhin hat man mit der Ausstrahlung dieser Sendung im ersten Programm des Österreichischen Rundfunks ein Zeichen gesetzt: Ja, auch Österreich, das Land wo die klassische Musik am Höhepunkt des transatlantischen Sklavenhandels entstanden ist, scheint bereit zu sein, im Namen der „politischen Korrektheit“ Selbstkritik zu üben und seine kulturelle Vergangenheit zu revidieren. Da dies nicht aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern infolge eines aus dem Ausland angestifteten ideologischen und politisch motivierten Drucks geschieht, hätte man einen Aufschrei aus allen Einrichtungen, die klassische Musik pflegen erwartet. Das wäre insofern logisch, weil es sich um eine offensichtliche rassistisch motivierte Abwertung eines wesentlichen Bestandteiles des Kulturerbes der Menschheit handelt. Hätte man ähnliches über die Musikschöpfung von Menschen nicht weißer Hautfarbe – schwarze insbesondere – behauptet, würde das eine unbeschreibliche Empörung in ihren Kreisen verursachen. Anschuldigungen wegen weißen Rassismus würden sofort erhoben und die Bestraffung der Täter verlangt. Dies umso leichter, weil ihre Forderungen von meisten Medien und politischen Einrichtungen stets unterstützt sind. Politische Korrektheit verpflichtet und die Hand ihrer Drahtzieher von der anderen Seite des Atlantischen Ozeans ist lang. Aber wenn diese Hand würgt, was soll man machen? Sich dem Schicksal ergeben oder zumindest versuchen, sich zu wehren?


Austausch als Heilmittel


Bei der Suche auf eine richtige Antwort sollte man zwei Dinge berücksichtigen. Die erste ist der Charakter der Ideologie, die das gesamte Kulturerbe der Menschheit bedroht und die zweite, dass sie die jüngeren Generationen verseucht. Man könnte das mit einer Pandemie des Geistes vergleichen. Diese greift die kulturelle Identität eines Teiles der Menschheit an, destabilisiert das Vertrauen in die humanistische Botschaft ihrer Werke, erzeugt Zweifel an ihrem Beitrag zum Fortschritt der Gesellschaft und ignoriert ihre ethische, ästhetische und moralische Werte. Man kann das schon bei der Unfähigkeit bzw. der Unwilligkeit der politisch korrekten Musikkritiker, die Qualität der Musikschöpfung von der Persönlichkeit des Schöpfers zu unterscheiden erkennen. Anstatt den Charakter des Komponisten und seiner Musik im Kontext der Zeit, in der sie lebten zu untersuchen, sie greifen lieber nach ihrem schwarz-weißen ideologischen Raster. Die einzigen Kriterien, die dabei gelten sind die Hautfarbe, das Geschlecht und der soziale Stand des Musikschaffenden. Auf diese Weise kann man sehr leicht ein negatives Bild der europäischen „E-Musik“ hervorzaubern. So wird die Musik des großen deutschen Komponisten Georg Friedrich Händel als rassistisch betrachtet, weil er Aktien einer britischen Sklavenhandelsgesellschaft besaß;[12] Mozart wird wegen der Figur des schwarzen Sklaven Monostatos in seiner Oper „Die Zauberflöte“ als Rassisten verdächtigt, weil er die negativen Klischees, die Europäer von den Afrikanern dunkler Hautfarbe pflegen, transportiert[13]; den Opern „Othelo“ und „Aida“ von Giuseppe Verdi wird nicht nur die Verwendung des zwar antiquierten aber doch tabuisierenden „M*“- Wortes (Mohr), sondern die Sünde der „Blackfacing“, d.h. des schwärzen des Gesichtes der Hauptprotagonisten vorgeworfen, weil sich dahinten – so die politisch korrekten „Gutmenschen“ – die böswillige Absicht der Verspottung von Menschen schwarzer Hautfarbe versteckt. Da sich niemand wagt, die Anwendung solcher (anti?) rassistischen Raster mit fundierten wissenschaftlichen Argumenten in Frage zu stellen, soll man sich wundern, dass die berühmte russische Primadonna Anna Netrebko, die bei ihrem Auftritt in der Rolle der versklavten äthiopischen Prinzessin Aida in der New Yorker „Metropolitan Opera“ auf die zwar sehr diskrete braune Schminke nicht verzichten wollte, ihre politisch korrekten „Kritikern“, die sie wegen „Blackfacing“ verhöhnten, mit einem im englischen Sprachraum meist verwendeten Schimpfwort abfertigte?[14]


Blackfacing – „Haram“! Die russische Oper Diva Anna Netrebko als Aida

in der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi.

Dafür musste die Metropolitan Opera Selbstkritik üben.


Mag sein, dass die indoktrinierte besserwissende politisch korrekte „Gutmenschen“, die jede Meinungsäußerung, die ihrem ideologischen Muster nicht entspricht, verübeln, keine andere Argumentation verstehen als jene die ihnen Anna Netrebko erteilte. Leider sind die Öffentlichkeit und die Jugend insbesondere, zu lange der emotionsbeladenen Propaganda der politisch korrekten Weltanschauung ausgesetzt, um eine derartige Reaktion zu verstehen. Will man aber die Schäden, die dadurch entstanden sind, und welchen der ORF mit den Sendungen wie „Klassik so White“ auch beiträgt, wieder gut machen, dann sollte man zumindest versuchen, auf die Notwendigkeit, Elemente, die die europäische und außereuropäische „E-Musik“ verbinden hinzuweisen. Dies vor allem deshalb, weil das Kennenlernen von Gemeinsamkeiten die Kulturen auszeichnen, das Interesse der Öffentlichkeit ebenso stark anziehen wie das Bewusstsein von der Eigenschaft ihrer eigenen.


Leider, die Hervorhebung von Gemeinsamkeiten wird meistens vernachlässigt. Daher entsteht der Eindruck von kultureller Unterdrückung sowie die Vorstellung, dass der Eroberer den Eroberten seine Kultur und Kunst automatisch aufzwingt und jene der unterworfenen tilgt. Das es dabei auch zu einem Austausch kommt, nimmt man noch immer nicht genug wahr. Doch gerade dieser Austausch, ungeachtet der meistens tragischen Umständen, die sie verursachten, führt zur kulturellen Befruchtung. Nur dank ihm können neue Konzepte entstehen und neue Wege zugunsten ihrer weiteren Entwicklung gebannt. Die Menschheit profitiert auch davon. Wo die Kultur fortschreitet, dort erfolgt auch die Bereicherung des Geistes und die Aussichten zur Humanisierung der Beziehungen innerhalb der Gesellschaft steigen.


Um das zu verstehen, muss man zuerst jede ideologische Brille absetzen. Wird man das nicht tun, dann wird er nur das sehen, was ihm die ideologischen Dogmen zeigen, zum Beispiel das die europäische klassische Musik weiß, „Macho“ und elitär sei. Bestimmt. Aber das Macho-Patriarchat ist kein ausschließlich europäisches Phänomen. Es existiert weltweit. In meisten Gegenden außerhalb Europas ist er noch immer weitaus stärker präsent als auf dem sog. Alten Kontinent. Hof- und sakrale Musik sind dort ebenfalls fast überall von Männern komponiert und aufgeführt. Manche Instrumente oder Lieder sind in manchen Überseegebieten für Frauen noch immer Tabu. Solche Vorstellungen waren vor etwa drei Jahrhunderten auch in Europa vorhanden. Die unterschiedliche Behandlung bei der Förderung der musikalischen Begabung von Mozart und seiner Schwester seitens ihres Vaters ist ein krasses Beispiel dazu. Das arme Nannerl durfte nicht einmal die Geige spielen, weil das einer Dame nicht gebührt! Doch diese patriarchalen Vorstellungen waren aber in Europa immer wieder herausgefordert. Die Liste von Frauen, die sich in Europa im Laufen der Geschichte auszeichneten, ist lang. Es gab sogar Mädchenensembles die in Venedig des 16, 17 und 18. Jahrhunderts öffentliche Konzerte gaben. Heutzutage wird die Rolle der Frauen zumindest in der europäischen „E-Musik“ revidiert. Aber die Tatsache, dass es meistens Männer waren, deren Werke in der Geschichte der Musik eingingen bedeutet nicht, dass ihre Musik die Macho-Ideologie reproduzierte, nicht einmal dann, wenn man, in der klassischen Sonatenform, das eher dramatische Thema A als „männlich“ und das üblicherweise lyrische Thema B als „weiblich“ bezeichnete. Sie sendeten vor allem eine abstrakte, ästhetische Botschaft, die den Geist veredeln sollte und der Geist, wie man weißt, ist geschlechtsneutral.


Gerade diese ästhetische Eigenschaft der „E-Musik“ hob sie jenseits ihrer ursprünglichen propagandistischen Funktion. In diesem Sinne war ihre künstlerische Botschaft gewissermaßen missbraucht. Tatsächlich dienten die Musiker den Machthabern in- und außerhalb Europas dazu, um sie entweder zu glorifizieren oder zu zerstreuen. In diesem Sinne unterscheidet sich die Funktion des mittelalterlichen Troubadouren nicht viel von jenen den westafrikanischen griots. Die katholische Kirche ging noch weiter: sie bediente sich der kirchlichen Musik zum Zweck der Missionierung und war damit vor allem in Lateinamerika erfolgreich. Doch die europäische „E-Musik“ konnte sich dank der sozialen Entwicklung, leichter individualisieren, verselbständigen und in den breiteren Volksschichten vordringen als dies mit der „E-Musik“ auf anderen Kontinenten der Fall war. Das moderne Notationssystem erleichterte die Niederschreibung von Kompositionen. Sein Vorteil war, dass auch die nicht-europäische Musik konnte in ihrer mehr oder weniger ursprünglicher Form wiedergespielt, verbreitet und wissenschaftlich effizienter analysiert werden. Außerdem, das europäische Notationssystem ermöglichte die Bewahrung des Nachlasses von früheren Musikschöpfern. Dabei dachten ihre Erfinder und Entwickler bestimmt nicht an die Rassensegregation, sondern auf die praktischen Vorteile für die Erkennung von Wert der Noten beim Spielen. Allerdings sieht man die schwarzen Noten, die als Hinweis zur schnelleren Aufführung dienten, viel deutlicher, als wenn sie, wie früher, nur weiß bezeichnet waren. Den politisch korrekten „Kritiker*innen“ zum Trost: bei jeder Komposition gibt es wesentlich mehr schwarze Noten als weiße und sie bilden das Rückgrat dem Melodieverlauf. Natürlich könnte man diese Funktion von schwarzen und weißen Noten so interpretieren, dass das Wohl der Weißen auf die Sklavenarbeit der Schwarzen beruht. Aber entspricht das der Wahrheit oder dem italienischen Spruch: „Wenn es nicht wahr ist, ist es gut gefunden“? Jedenfalls, bei der Aufführung der Musik, merkt man die Farbe der Noten nicht. Man hört die Aufführung und wenn sie gut ist – man genießt sie.


„E-Musik“ in Lateinamerika: die Umwandlung

einer Kolonialerbe


Das gilt auch für jene Art der Musik, die sich infolge der Kolonisierung auf anderen Kontinenten verbreitete. Weiße, dort wirkende Komponisten, pflegten selbstverständlich den europäischen Stil. Doch sie konnten sich nicht dem Einfluss der Musik der lokalen Bevölkerung entziehen. Sehr bald entdeckte man den Wert der dortigen Volksmusik. Auch indigene Komponisten beteiligten sich früh daran, wie z.B. Diego Lobato, der Kapellmeister der Kathedrale von Quito, dessen Mutter eine der Frauen des letzten Inca Atahualpa war. So bekam die Musik aus den Kolonien – spanischen in Lateinamerika insbesondere – spezifische Merkmale die sie zum Kulturerbe von Staaten, die dort später entstanden sind. Es ist ein Hybrid aber auch eine Brücke, die die indigene Musik mit jenen der Europäer aber auch der afrikanischen Sklaven verbindet. Man sieht das u.a. auch in der Oper „San Ignacio de Loyola“ aus der Mitte des 18. Jahrhunderts deren Autoren ein Italiener (Domenico Zipoli, ein Schweizer (Martin Schmid) und… die Indianer Chiquitanos aus heutigem Bolivien waren. Leider kennt man in Europa ebenso wenig davon, wie von der barocken bzw. klassischen „E-Musik“ aus Nord- Ost- oder Südosteuropa. Ob man mehr darüber erfahren wird, hängt aber von der Musikerziehung und der Programmpolitik der Konzert- und Opernhäuser einerseits, sowie von den Musikredaktionen der elektronischen Medien andererseits. Eine Herausforderung auch für den inzwischen politisch korrekt gewordenen ORF.


Der Prozess der Vermischung von Einflüssen in der Musik zwischen den Kontinenten, sollte weit mehr betont werden als das bisher der Fall war. Die Tatsache, dass weiße Komponisten bereits angefangen haben, sich intensiv für Rhythmen und Melodien der Völker anderer Hautfarbe zu interessieren weist daraufhin, dass dies nicht dem Rassismus oder der Abwertung anderer Völker zugemutet werden kann. Es war viel mehr eine Neugier, um das andere, das fremde kennenzulernen und sich von ihnen zu inspirieren. Man kann das bereits bei der Oper „The Indian Queen“ (Die Indianische Königin) des berühmten englischen Komponisten Henry Purcell aus dem 17. und in der Oper „Les Indes galantes“ (Das galante Indien) des ebenfalls bekannten französischen Komponisten Jean-Philippe Rameau aus dem 18 Jahrhundert merken. Es ist eher eine Hommage an zwei großen lateinamerikanischen Zivilisationen und deren Protagonisten nicht als Untermenschen niedrigerer Rasse, sondern als Menschen im wahren Sinne des Wortes dargestellt sind. Das gilt auch für den vierten Akt des „Galanten Indien“ der einen politisch inkorrekten Titel „Les sauvages“ (Die Wilden) trägt. Es sind die Liebe und die Friedenspfeife, die am Ende siegen und sogar zum Nachteil von Offizieren der kolonialen Truppen. Kein Grund also, diese Oper zu „dekolonialisieren“, sondern Grund mehr zu versuchen, ihr Wert im Kontext der Zeit seines Entstehens zu verstehen.

„E-Musik in der USA: ein „melting pot“


Das gilt auch für die USA, wo Ende des 19. Jahrhunderts, unter dem Einfluss des tschechischen Komponisten Antonin Dvořák, die sog. „Indianische Bewegung“ in der dortigen „E-Musik“ entstand. Es war er, der kurz nach seiner Ankunft in der USA, wo er 1893 seine berühmte Symphonie aus der Neuen Welt komponierte, die Meinung vertrat, dass Amerika ihre eigene nationale Musik, die auf indianischen Melos und Lieder der afrikanischen Sklaven beruht entwickeln sollte. Mehr als 20 Opernwerke, die zwischen 1910 und 1930 entstanden sind, beschäftigten sich mit den Themen aus dem Leben und dem Glauben der amerikanischen Ureinwohner und übernahmen Elemente ihrer traditionellen Musik. Dabei auch „Poia“ von Arthur Nevin, die eine Legende der Blackfoot-Indianer als Vorlage hatte und „Sieur de Luth“ (Der Herr von Luth) von Stella Prince Stocker, die sogar Mitglied des Ojibwa-Stammes geworden war. Indigene Komponisten ihrerseits versuchten auf ähnliche Weise sich im Bereich der „E-Musik“ zu affirmieren. Thomas Commuck, spielte dabei eine Pionierrolle. Ihm folgten, im 20. Jahrhundert, Carl Fischer, Jack Kilpatrick, Louis Ballard, Brent Michael Davis und andere. Doch, eine Konstante blieb: die gegenseitige Beeinflussung.


Die „E-Musik“ der Afroamerikaner entwickelte sich ähnlich. Nur wegen ihrer Hautfarbe war ihr Kampf zur Anerkennung ihres Beitrags zur Entwicklung der „E-Musik“ schwieriger. Bevor die Sklaverei abgeschafft war, wurden die Sklaven auch dazu verwendet, ihren Herren Musik zu spielen. Sie lernten auf europäischen Instrumenten zu spielen, kamen in Kontakt mit der europäischen Musik und fingen an, selbst zu komponieren. Der bekannteste von ihnen, der blinde Thomas Wiggins, war ein hervorragender Pianist und auch Komponist der als erster Afroamerikaner, damals 1859 noch offiziell Sklave, vor einem US- Präsidenten (James Buchanan) gespielt hat. Es war ein Durchbruch, aber die schwarze Hautfarbe wog schwer. Wegen Rassendiskriminierung musste der Komponist Edmond Dede seine Geburtsstadt New Orleans verlassen und nach Frankreich auswandern, wo er zu wahrer Berühmtheit wurde. Die Afroindianerin Elizabeth Taylor Greenfield zeigte öffentlich ihren Unbehagen: nach ihrem 1853 erfolgreichen Konzert in Metropolitan Hall in New York, an welchen 4.000 weiße und keiner Afroamerikaner teilnahmen, entschuldigte sich die bereits als größte schwarze Sängerin mit dem Spitznamen „Der Schwarze Schwann“ bei ihrem Volk, gab einen Konzert zugunsten eines Altersheims sowie einem Jugendheim für Menschen nicht weißer Hautfarbe und begab sich schon am nächsten Jahr nach London wo sie, als erste Schwarze Sängerin am Königshof auftritt. Die Segregation blieb aber noch lange vorhanden. Der in New Orleans 1840 gegründete „Negro Philharmonia Society“ mit mehr als 100 hauptsächlich schwarze Musiker musste wegen dem Druck der weißen Rassisten bald die Türe schließen. Erst 1900 gelang es Impresario und Opernsänger Theodore Drury das erste afroamerikanische Opernhaus, The Theodore Drury Grand Opera Company, in New York zu gründen. Es war ein Wendepunkt. In einer Zeit wo den afroamerikanischen Musikschafenden die Türe der größten US-amerikanischen Opernhäuser und Konzertsäle gesperrt waren, war es jetzt ihnen möglich, eine Alternative dazu zu finden. Die Eröffnung mit der Oper „Carmen“ von Georges Bizet brachte eine Sensation: alle Musiker, Sänger und Organisatoren waren Afroamerikaner. Der größte Teil des Publikums ebenfalls. Die Anerkennung war allgemein, rassenüberbrückend. Dieser Erfolg überschattete die Tatsache, dass ein anderer großer afroamerikanische Komponist Harry Lawrence Freeman bereits 1891 die „Freeman Opera Company“ in Denver gegründet hat, dessen alle Mitglieder Afroamerikaner waren. Sein musikalisches Vorbild war aber Richard Wagner dessen Musik ihn stark beeinflusste. Der „schwarze Wagner“, wie man ihn deswegen bezeichnete, komponierte mehr als zwanzig Opern, die mehrere Stunden dauerten. Seine Oper „Zululand“ konnte sogar nie aufgeführt werden: die Klavierpartitur zählt 2150 Seiten. Daher aber schrieb eine andere Oper von ihm („Voodoo“) Geschichte. Es war das erste Mal, dass das Opernwerk eines afroamerikanischen Komponisten in Broadway aufgeführt und auch im Radio gesendet wurde.


Mann nannte ihn „Der schwarze Wagner“:

Der US-Komponist Harry Lawrence Freeman


Als dies geschah – und das war schon im Jahr 1928 – war bereits die sog. „Harlem Renaissance“ im vollen Lauf. Es war eine große afroamerikanische Kulturbewegung, die alle Bereiche der intellektuellen Schöpfung und des Kulturlebens umfasste. Es war die goldene Zeit des Jazz, der im Handumdrehen die Welt eroberte und das Interesse für die afroamerikanische Musik erweckte. Sogar die weiße amerikanische Elite, deren Clubs für die Afroamerikaner noch immer geschlossen waren, luden bekannte afroamerikanische Jazz-Musiker, Singer und Tänzer, um ihre Musik und Tanz zu bewundern. Im berühmt-berüchtigten Harlemer Lokal „The Cotton Club“ spielten die Jazz Trompeten Legende Lewis Armstrong, der Pianist Duke Ellington, die Tänzerin Josephine Becker und bei den (weißen) Besuchern konnte man treffen neben der strohblonden Hollywood Schauspielerin Mae West, die als sex-symbol dieser Zeit galt, auch den Schriftsteller Moss Hart, den damaligen New Yorker Bürgermeister Jimmy Walker und einen Komponisten bald eine Oper die von Menschen aus einem afroamerikanischen Fischerdorf erzählt weltberühmt wird – George Gershwin.


Es war ein neuer Durchbruch zur Schaffung einer kulturellen Kohäsion in der USA jenseits der Hautfarbe. Seine Oper „Porgy and Bess“, die 1935 uraufgeführt wurde, war ein sichtbarer Beweis dafür, dass auch weißhäutige Künstler imstande sind, sich von afroamerikanischen Melodien und Rhythmen inspirieren zu lassen und in ihrem Geist zu komponieren. Das war etwas völlig Neues in der Welt der Musik. Man könnte dies als eine Art Entgegenkommen zu den Komponisten schwarzer Hautfarbe, die von der europäischen Musik stark beeinflusst waren, aufführen. Die Tatsache, dass er noch vor dem Zweiten Weltkrieg, als in der USA die Afroamerikaner de facto als Menschen niedriger Rasse behandelt worden waren, verfügt hat, dass dieses Werk nur von afroamerikanischen Truppen vor