GRÜNES LICHT FÜR MARX
Über Karl Marx' Jubiläum in Trier
Marx ante portas
Man dachte, er sei nicht mehr da, er sei vom Wirbelsturm des "Übergangs" weggefegt, von der neoliberalen Flut weggetrieben oder im besten Fall irgendwo in den Kerkern der Geschichte. Jetzt ist er an der Hintertür! Er klopft seit über einem Jahrzehnt daran. Damals wurde die Welt von der letzten großen Wirtschaftskrise erschüttert. Da die Immobilienaktienpreise in den Abgrund gesunken waren und die Banken verzweifelt die Unterstützung der Staaten forderten, obwohl sie sie für ein großes Hindernis für den freien Kapitalverkehr und seinen Fluss in Steueroasen hielten, begann man sich zu fragen, ob der gute alte Marx Recht hatte, als er sagte, dass zyklische Wirtschaftskrisen untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden sind? Als ob die öffentliche Meinung plötzlich erkannt hätte, dass der Markt nicht nur die sozialen Beziehungen dereguliert, sondern im Gegenteil die sozialen Ungleichheiten verschärft. Die Beispiele für die Ausbeutung der menschlichen (und kindlichen) Arbeitskräfte des 19. Jahrhunderts, die er in seinem "Das Kapital" beschrieb, finden ihr Pendant in vielen Teilen der postindustriellen Welt des 21. Jahrhunderts.
Man könnte sogar feststellen, dass die Entwicklung der Menschheit nun einen gigantischen Rückschritt gemacht hat und dass Marx' Ideen, Theorien und Analysen wieder aktuell geworden sind. Sind sich die früheren Generationen, die im Westen versuchten, Marx durch die berühmten ultraliberalen "chicago boys" zu ersetzen, und diejenigen aus dem Osten, die sich gegen Marx' Lehre wehrten, weil sie ihnen "von oben" als unantastbares Dogma aufgezwungen wurde, dessen bewusst? Das wäre vorstellbar. Es ist jedoch festzustellen, dass sich auch junge Menschen für das Denken von Marx interessieren. Unter ihnen sind auch diejenigen der "Millennium-Generation", die kaum von ihm gehört haben, da Marx nach der "Wende" von 1989 praktisch aus den Schulen und Universitäten vertrieben wurde. In den Vereinigten Staaten Amerikas, die als Wiege der neoliberalen Ideologie gelten, stieg der Verkauf von Marx' Werken rasant in die Höhe. Man hätte den Eindruck, dass junge Menschen auf diese Weise unbewusst eine Botschaft an die Eliten senden, dass entgegen der Behauptung der ehemaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, eine Alternative zum Neoliberalismus der in der Sackgasse geraten ist, doch vorhanden ist und dass sie vor allem in Marx' Schriften gesucht werden muss.
Der deutsche Prophet
Solche Meinungen haben neoliberale Eliten verwirrt. Was tun mit Marx, da die Praxis beweist, dass seine Ideen in vielen Fällen richtig waren? Schlimmer noch (für neoliberale Eliten natürlich), das zweihundertjährige Geburtsdatum von Karl Marx (geboren am 5. Mai 1818) rückte näher. Ihr rechter Flügel (konservativ) würde ihn lieber weiterhin ignorieren. Ihr linker Flügel hingegen, der sich als progressiv bezeichnet, ist der Meinung, dass Marx zumindest teilweise rehabilitiert werden sollte. Zwei Filme hatten das Publikum auf diesen Wendepunkt vorbereitet. Ende 2017 wurde die französisch-deutsch-belgische Koproduktion "Le jeune Marx" (Der junge Marx) von Raoul Peck und Anfang 2018 der deutsche Halbdokumentarfilm "Karl Marx – der deutsche Prophet" von Christian Twente im Fernsehen gezeigt. Die Art und Weise, wie Marx' Persönlichkeit präsentiert wurde, schien seine Ideen eher auf ein Niveau utopischer Begeisterung bzw. auf sein Herkunftsland zu reduzieren. In Pecks Film erscheint Marx als romantischer Träumer und in Twente als kontroverser Mensch, der seinen Idealen nicht gerecht wird und sie fast bei jedem Schritt verrät. Der Film von Twente legt zudem nahe, dass die deutschen Sozialdemokraten die Anerkennung für die Verbesserung des Zustands der Arbeiterklasse in Deutschland erhalten, weil sie das revolutionäre Programm aufgegeben und mit dem kaiserlichen Regime zusammengearbeitet hatten. Schließlich ist die Darstellung von Marx nicht als universal-, sondern explizit als deutsche Prophet kennzeichnend. Es scheint ein Versuch zu sein, die nationalen Gefühle des Landes zu schmeicheln, um im Pantheon der deutschen Geschichte eine illustre Persönlichkeit, die zwar umstritten, aber dennoch auf ihrem Boden beheimatet ist, doch (wieder) Salonfähig zu machen. So konnten sich die deutschen liberalen Eliten erleichtert fühlen. Der negative Charakter des Kapitalismus in Twente's Film wird in der Regel statisch und abstrakt dargestellt, durch die Erklärungen der befragten Experten. Nachdem die öffentliche Meinung so vorbereitet war, konnte man konnte man mit dem Feiern des 200. Jahrestages von Marx beginnen und gleichzeitig die Wiederherstellung seines Kultes vermeiden.
Marx in der Kirche gefeiert
Das Gedenken an das zweihundertjährige Jubiläum von Marx' Geburt war daher eher bescheiden. Die Werbung wurde auf ein Minimum reduziert und der Pomp fehlte. Deutsche und ausländische Regierungsvertreter vermieden die Teilnahme an den Marx-Feierlichkeiten. Besonders deutlich wurde dieser Boykott in Trier, der Heimatstadt von Marx, wo das zentrale Gedenken stattgefunden hatte. Es stand zwar unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, aber weder er noch eine andere Persönlichkeit der deutschen Regierungskoalition nahm daran teil. Die Generalsekretärin der konservativen Christlich-Demokratischen Union, Annegret Kramp-Karrenbauer, sagte, angesichts der Gesamtheit der Aktivitäten von Marx in der Geschichte der Menschheit gebe es keinen Grund zur Freude. Dieselben Kreise haben ihre Unzufriedenheit kaum verdeckt, als der Präsident der Europäischen Kommission und der ehemalige Premierminister des benachbarten Luxemburg, Jean-Claude Juncker, persönlich die Eröffnungsrede zum 200. Jubiläum von Karl Marx hielt. Er vor dem Altar der Konstantinischen Basilika, während eine Gestalt Jesu über seinem Kopf schwebte, und erklärte vor über tausend Gästen, dass Marx für all das Böse, das in seinem Namen begangen wurde, nicht verantwortlich gemacht werden könne.
Der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker weiht die Zweihundertjahrfeier vor dem Altar der Konstantinischen Basilika in Trier ein.
Wer hätte gedacht, dass man solche Worte sagen könnte? Wer hätte sich vorstellen können, dass die zentrale Feier des 200. Geburtstags von Karl Marx nicht im Saal eines Kulturzentrums oder der Universität Trier stattgefunden hatte, sondern im ehemaligen Schloss der römischen Kaiser, das im 19. Jahrhundert der lutherischen Kirche zur "ewigen Nutzung" übergeben worden war? War es ein Zufall oder vielleicht doch eine Absicht? Jedenfalls erschien die Wahl des Veranstaltungsortes für die Zweihundertjahrfeierlichkeiten der Geburt von Karl Marx etwas lächerlich und unangebracht für einen Denker, der glaubte, Religion sei nichts anderes als "das Opium der Völker".
Das chinesische Geschenk
Dieser Versuch, das Jubiläum von Marx symbolisch zu minimieren, sei es beabsichtigt oder nicht, hatte durch die Einweihung des gigantischen Denkmals von Karl Marx, das der Stadt Trier von China angeboten wurde, einen echten Rückschlag erlitten.
Chinesisches Geschenk: Karl Marx' Denkmal am Simeonstiftplatz von Trier, ein Werk des Bildhauers Wu Wei Shan. Das Denkmal ist 5,5 Meter hoch und wiegt 2,3 Tonnen.
Die deutschen Spitzenleute verstanden, worum es ging. Polemische Texte sind in der deutschen Mainstream-Presse erschienen und fragen, ob es sinnvoll ist das Geschenk eines totalitären Staates zu akzeptieren, der die Redefreiheit erstickt und Regimekritiker inhaftiert. Es fanden auch Demonstrationen statt und die Demonstranten, darunter Amnesty International, die unter anderem von US-Finanzmagnaten George Soros unterstützt sind, forderten die Freilassung der Witwe des langjährigen Oppositionsführers und Friedensnobelpreisträgers Liu Xiabo. In den Straßen von Trier konnte man auch die Anhänger der chinesischen Sekte Falun Gong sehen, die böse Zungen beschuldigen, Subventionen aus amerikanischen Geheimfonds zu erhalten und Flugblätter gegen das derzeitige chinesische Regime zu verteilen. So stellte sich die Frage, ob die Rolle Chinas bei der Feier des Jubiläums von Karl Marx als "freundliche Geste" auf die Vergabe eines Geschenks reduziert wurde oder ob es sich um etwas anderes handelte. Allerdings konnte man mit bloßen Augen merken, dass die meisten Touristen, die nach Trier kommen und das Geburtshaus von Karl Marx besuchen, hauptsächlich aus China stammen. Es wird sogar angekündigt, dass ihre Zahl in den kommenden Jahren steigen könnte. Die Stadt Trier wird sicherlich davon profitieren, aber auch das chinesische Regime. Dieses könnte somit nicht nur zur Stärkung der ideologischen Basis, auf der es beruht beitragen, sondern das würde ihr auch ermöglichen, bestimmte europäische politische Kräfte für sich zu gewinnen und sie in die Verwirklichung ihrer Ziele einzubeziehen. Doch Marx' "Wiederentdeckung" trug vor allem zum Bau der chinesischen "Seidenstraße" nach Deutschland bei, das als das wirtschaftliche Herz Europas gilt. China könnte dort die richtige Unterstützung von denselben